Pocket Mannerhatten – Umsetzung kollaborativer Stadtstrukturen und räumlicher Sharing-Strategien in
Räume und Flächen in der Stadt sind wertvoll: Diese mit NachbarInnen zu teilen, steigert die Lebensqualität. Das ist das wichtigste Ziel der Stadtentwicklungsstrategie Pocket Mannerhatten. Dabei werden Rahmenbedingungen für das gebäudeübergreifende und gemeinwohlorientierte Nutzen von Flächen, Räumen und Technologien, z.B. aus den Bereichen Gebäude, Energie, Mobilität, Grün- und Freiraum geschaffen. Diese Sharing-Maßnahmen werden gemeinsam mit EigentümerInnen und BewohnerInnen entwickelt. Weiteres Alleinstellungsmerkmal des Projektes ist die Entwicklung eines Anreiz-Systems: Es basiert darauf, dass Sharing-Maßnahmen anhand ihres Beitrags zum Gemeinwohl bewertet werden. Je höher der Beitrag zum Gemeinwohl, desto höher kann eine Förderung ausfallen.
Das Potenzial der Vision ist enorm: Würde in jedem gründerzeitlichen Stadtblock in Wien ein gemeinsam genutzter Dachgarten von nur 100 Quadratmetern entstehen, ergäbe das eine Fläche, die etwa drei Mal so groß ist wie der Wiener Stadtpark.
Video im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Wien - Neues Soziales Wohnen (IBA_Wien)
Ausgangssituation
Der zunehmende Nutzungsdruck auf Flächen und Räume in Städten, steigender Verbrauch von Ressourcen, klimawandelbedingte Probleme (z.B. Urban Heat Islands), soziale Veränderungen und neue Nutzungsansprüche stellen Stadtverwaltungen und -bewohnerInnen vor Herausforderungen und erfordern innovative Methoden und Strategien. Mit dem Konzept Pocket Mannerhatten soll der Ansatz der sanften Stadterneuerung für bestehende Stadtquartiere im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklungsstrategie erweitert werden. Nach dem Motto: „Wer teilt, bekommt mehr“ werden die wertvollen Ressourcen in der Stadt systematisch liegenschaftsübergreifend geteilt. Die Grundidee zu Pocket Mannerhatten stammt von Architekt Florian Niedworok, der das Konzept im Jahr 2012 im Rahmen seiner Diplomarbeit bei Prof. Bart Lootsma an der Universität Innsbruck entwickelt hat. Im Jahr 2014 gewann das verfeinerte Konzept den ersten Preis beim Superscape Award in Wien. In den Jahren 2016 und 2017 bearbeitete ein multidisziplinäres Konsortium „Pocket Mannerhatten Ottakring“ als Sondierungsprojekt, ebenfalls im Rahmen des Programms „Smart Cities Demo“ des Klima- und Energiefonds. Dabei konnte das Konzept für die Realisierung weiterentwickelt werden: Mit „Block 61“ wurde ein Stadtblock in Wien Ottakring, ausfindig gemacht, in dem das Team in enger Kooperation mit EigentümerInnen und Verwaltungs-Verantwortlichen ein detailliertes Konzept für die Umsetzung vorbereiten konnte.
Ziele & Ergebnisse
Die Zielsetzungen des Projektes bestehen sowohl in der konkreten Umsetzung als auch auf strategisch-übergreifender Ebene: In „Block 61“ ist das zentrale Ziel, Sharing-Maßnahmen vor Ort umzusetzen, auf Basis der Wünsche und Bedürfnisse der EigentümerInnen und BewohnerInnen. Für das langfristige Gelingen dieser Maßnahmen werden Betreibermodelle und Nachsorgekonzepte erarbeitet. Neben der baulichen Umsetzung und der Partizipation ist ein gemeinwohlorientiertes Anreiz- und Ausgleichs-System der dritte zentrale Konzeptbestandteil. Ein entsprechendes Geschäftsmodell, welches Anreize für weitere Umsetzungen bietet, wird erarbeitet. Zur Projektevaluierung wird laufend ein Monitoring durchgeführt. In den Jahren 2018 bis 2020 konnten eine Reihe an Ergebnissen erzielt werden: Die Sharing-Optionen wurden mit dem Input der EigentümerInnen und BewohnerInnen weiterentwickelt. Eine österreichweit einzigartige Umsetzung im Rahmen des Projektes ist die Errichtung einer PV-Anlage, deren Strom über ein Mieterstrommodell im Gebäude und mit dem Energieanbieter „eFriends“ auch in der Nachbarschaft verteilt wird. Zudem wurde vom Team ein Bewertungssystem entwickelt, mit dem der potenzielle Gemeinwohlbeitrag von Sharing-Maßnahmen quantifiziert werden kann. Gemeinsam mit VertreterInnen der Stadtverwaltung Wien und Förderstellen wurden wesentliche Erkenntnisse für die breite Übertragbarkeit entwickelt. Das Projekt ist Kandidat der Internationalen Bauaustellung Wien 2022 (IBA_Wien). Während der Zwischenpräsentation der IBA fand im September 2020 die Ausstellung „Galerie der Möglichkeiten“ vor Ort in „Block 61“ und eine Reihe von Online-Events statt. Ein Planspiel, Videos, Modelle, Quizzes und vieles mehr machten die Mehrwerte der nachbarschaftlichen Vernetzung erlebbar. Bei sechs digitalen Events mit Fachmenschen aus Planung und Praxis wurden Themen von Mobilität über Begrünung bis zur klimaneutralen Energieversorgung diskutiert. Ergebnisse und Materialien stehen zum Download zur Verfügung.
Innovation
Räume und Flächen gemeinsam zu nutzen ist grundsätzlich nichts Neues. Pocket Mannerhatten folgt jedoch der bisher wenig bearbeiteten Frage, welches Innovationspotenzial systematisches Sharing in Architektur und Städtebau generieren kann. Innovativ ist der Ansatz, unterschiedliche räumliche Sharing-Möglichkeiten liegenschaftsübergreifend zu konzipieren und zu katalogisieren und als strategisches wie operatives Stadtentwicklungsinstrument auszuformulieren und verwendbar zu machen. Auch liegenschaftsübergreifende Maßnahmen sind in der Stadterneuerung nicht komplett neu. Der Wiener Wohnfonds fördert im Rahmen der Blocksanierung auch im Einzelfall liegenschaftsübergreifende Maßnahmen, diese waren aber nicht der zentrale Fokus. Im Gegensatz dazu setzt Pocket Mannerhatten gezielt und strategisch mit einem sozial-innovativen Sharing-Prozess auf liegenschaftsübergreifende Maßnahmen. Mit dem Katalog vordefinierter Sharing-Möglichkeiten werden relevante Planungsthemen wie Begrünung, Nachverdichtung, Nutzungsmischung, regenerative Energieversorgung, Leerstandsnutzung, Belebung der Erdgeschoßzone, Begrünung etc. gezielt in den Fokus gerückt. Dadurch ergänzt die Strategie von Pocket Mannerhatten etablierte stadtplanerische Instrumente wie Flächenwidmungs- und Bebauungspläne sowie baurechtliche Bestimmungen, mit denen angestrebte Synergien in diesem Ausmaß bzw. bezogen auf einen oder mehrere Stadtblöcke noch nicht integriert werden können. Der Innovationsgehalt des Vorhabens liegt darüber hinaus in der Entwicklung eines gemeinwohlorientierten Bewertungssystems als sinnvolles Instrument für die sozial orientierte Stadtentwicklung: Um auch diejenigen EigentümerInnen in die Umsetzung einbinden zu können, die bisher nur schwer zu erreichen waren, wird ein innovatives Anreiz- bzw. Ausgleichs-System entwickelt.
Forschungsergebnisse in die Praxis überleiten
Die enge Verschränkung von wissenschaftlichen und praktischen Zielen und Fragestellungen ist zentrales Merkmal des Projektes: Das Umsetzungsprojekt baut dabei auf den Ergebnissen der Sondierungsstudie auf. Die Strategie hinter Pocket Mannerhatten setzt Anreize zur qualitätsvollen Nachverdichtung und zum Initiieren von Maßnahmen, u.a. in den Bereichen Erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Begrünung.
Stadt als Testbed nutzen
Der starke transdisziplinäre Charakter des Projektes spiegelt sich in der Zusammensetzung des Konsortiums und in dem intensiven Austausch mit unterschiedlichen AkteurInnen (MieterInnen, EigentümerInnen) wider. Vor allem im Rahmen der Partizipationsmaßnahmen werden die Motive, Ziele, Hemmnisse und Wünsche der Beteiligten intensiv untersucht. Diese Erkenntnisse fließen in die Umsetzung der Maßnahmen ein.
Kommunalen Mehrwert erzeugen
Zentral für das Projekt sind die Kooperationen mit den PartnerInnen der öffentlichen Hand bzw. Verwaltung. In diesem Kontext ist beispielsweise die Nominierung des Projektes als Kandidat der IBA_Wien und die Zusammenarbeit mit den Magistratsabteilungen MA 20 und MA 50 zu nennen. Speziell für die Übertragbarkeit der Erkenntnisse sind diese Zusammenarbeiten wichtig.
Summary
A convincing strategy for facing the challenge of population growth on the one hand and shrinking and restructuring requirements on the other hand is the approach of a sensitive renewal and densification of existing neighbourhoods. In Vienna, the growth quarters (Gründerzeitviertel) are especially recommended for a small-scale adaption of existing uses and infrastructures as well as the integration of multiple expectant social groups and socio-cultural contexts in action. However there is a lack of innovative methods to solve these issues. Pocket Mannerhatten aims to meet this challenge with a socially innovative participatory organized urban development strategy based on the idea that small scale and adjacent plots are linked with each other regarding several functions and uses (space sharing). In an innovative way such building areas and functions, underground, open and green areas as well as energy and building services systems are linked. The architectural theory of conception of “collaboration options" (Niedworok 2014) in compound with a bonus system serves as basis for the project as well as the result of the interdisciplinary research study Smart Cities Demo (finished in 2017). The later included an intensive participatory process and the identification of a project site and interested owners for the one-to-one implementation of the concept as pilot project. On the basis of a concrete, built realization, further questions concerning participation and stakeholder processes, construction law, urban planning and architecture solutions, cost and financing issues and the development for an innovative administration process as well as a non-profit business model for a long-term implementation should be answered. The results of the collaboration of interdisciplinary research with the city of Vienna and relevant stakeholders should then be merged into a design manual and the long-term implementation in city renewal strategies in Vienna and other cities.
Zuletzt aktualisiert am 11/05/2020