Smart City Graz – Mit der Natur ins Leben wachsen

Eine Volksschule, die aus allen Nähten platzt, ein neues Stadtvierte, eine Zukunftsvision – die Geschichte einer Stadtentwicklung.

Graz ist eine lebenswerte und familienfreundliche Stadt. Als Nebeneffekt ergibt sich auch die Notwendigkeit der Anpassung schulischer Kapazitäten. Eine Grazer Volksschule, das Leopoldinum, war an ihrem Standort in der Alten Poststraße bereits mit derart engen räumlichen Verhältnissen konfrontiert, dass sogar Schulklassen ausgelagert werden mussten – ein als Dauerlösung untragbarer Zustand.

Wie in vielen anderen Städten ist auch in Graz das Angebot an Siedlungsflächen begrenzt, was mit wachsender Bevölkerung neue Modelle der örtlichen Raumplanung erfordert. Das Gebiet westlich des Grazer Hauptbahnhofes entlang der Waagner-Biro-Straße war ursprünglich ein Gewerbe- und Industriegebiet, das sich aufgrund seiner zentralen Lage perfekt für ein neuartiges Konzept eignete, welches unter der Bezeichnung „Smart City“ um die Jahrtausendwende Eingang in die Stadtplanung hielt. Die „Smart City“ definiert sich hier als gesamtheitliches und emissionsarmes Stadtkonzept mit optimaler Nahverkehrsanbindung, großzügigen Fuß- und Radwegen, üppiger Begrünung, moderner Technologie und nicht zuletzt der Förderung eines gedeihlichen gemeinsamen Miteinander aller Bewohner*innen. Ein Dorf in der Stadt mit allen Annehmlichkeiten beider Welten sozusagen, und mit einer Infrastruktur, die den Besitz eines eigenen Pkw nicht mehr zwingend erfordert.

Das StadtLABOR macht den ersten Aufschlag

Das StadtLABOR Graz, 2012 als Forschungsverein gegründet, hat im Stadtentwicklungsgebiet Waagner-Biro Wünsche, Bedürfnisse und Ideen der Betroffenen erhoben. In diesen Prozess waren Anrainer*innen, Bauträger*innen, Architekt*innen und natürlich auch die Stadt Graz eingebunden. Weiters wurden grundsätzliche Überlegungen zur Stadteilnutzung angestellt.

Ein wesentlicher Aspekt der Planung bestand darin, Strukturen zu schaffen, die den sozialen Bedürfnissen der Bewohner*innen entsprechen. Im Zuge dieser Überlegungen entwickelte sich auch die Idee, in der Smart City einen Bildungscampus mit Volksschule und Neuer Mittelschule zu etablieren, zumal die Kinder von heute die Entscheider*innen und Stadtentwickler*innen von morgen sind. Das in räumlicher Nähe gelegene „alte“ Leopoldinum mit seinen zu klein gewordenen Kapazitäten bot sich in diesem Kontext geradezu an, sodass der nächste Schritt darin bestand, mit der Direktion des Leopoldinum sowie den Schulbehörden Kontakt aufzunehmen; auch das Kinderbüro Graz wurde mit einbezogen.

Die Natur.Werk.Stadt ergänzt das Team

Im Jahr 2017 befand sich an jener Stelle, an welcher jetzt die Volksschule SmartCity steht, nur ein schlichter Bürocontainer. Das Stadtteilmanagement vor.ort informierte zwei Mal pro Woche Anrainer*innen über die neuen Entwicklungen im Stadtteil sowie über die jeweils bevorstehenden baulichen Veränderungen. Ab dem Frühsommer wurde dieser Container, der je nach Außentemperatur entweder Tiefkühlschrank oder Backofen war, auch von der Natur.Werk.Stadt genützt – einem gemeinnützigen Projekt mit der Zielsetzung, beschäftigungslosen Menschen den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt mittels stadtökologischer Initiativen zu ebnen und auf diese Weise gleichzeitig mehr Natur in den urbanen Raum zu bringen.

Rundherum gab es dort zu diesem Zeitpunkt wenig außer einer begrünten Terrasse um den Container und ausgedehntem Brachland. Der breiten Kooperation sowie der Initiative und dem vernetzten Denken und Wirken von vielen Beteiligten ist es zu verdanken, dass sich aus dieser innerstädtischen „Wüste“ allmählich eine Oase entwickeln konnte. Die Pflege der rund um den Container entstehenden Beete und Begrünung gestaltete sich damals allerdings als organisatorische Herausforderung erster Güte, zumal es zu diesem Zeitpunkt noch keinen Wasserzulauf in unmittelbarer Nähe gegeben hat; vor allem die Tatsache, dass nicht ständig jemand zur Betreuung vor Ort war, verkomplizierte die Pflege der Pflanzen enorm. Mit dem Start der Natur.Werk.Stadt im Mai 2017 konnte in diesem Punkt Abhilfe geschaffen werden, weil sich nun ein ganzes Team an Mitarbeiter*innen um die Infrastruktur und gemeinsam mit den Akteur*innen vor Ort auch um die Belebung der Örtlichkeit kümmerte.

Mit dem green.LAB rückt Begrünung in den Fokus

Mit zunehmendem Baufortschritt der Smart City rückte das Thema „Begrünung“ immer mehr in den Fokus. Das vom Klima- und Energiefonds geförderte Kooperationsprojekt green.LAB zielte darauf ab, ein replizierbares Zwischen- und Nachnutzungskonzept für Brachflächen zu entwickeln und umzusetzen. Während der Projektlaufzeit von Februar 2018 bis Jänner 2021 wurde durch laufende Weiterentwicklung interessierten Zielgruppen Möglichkeiten geboten, grüne Infrastruktur als eine zentrale Klimawandelanpassungsmaßnahme in Städten kennenzulernen, zu erleben sowie selbst umzusetzen und mitzugestalten.

Für den Wissenstransfer der Mitarbeiter*innen des gemeinnützigen Beschäftigungsprojektes hin zur Bevölkerung aller sozialer Schichten, welcher fallweise auch gemeinsam mit dem Team des green.LAB erfolgte, für den Support der green.LAB-Partner*innen bei Veranstaltungen vor Ort sowie für die Pflege und Betreuung der Begrünung zeichnete die Natur.Werk.Stadt verantwortlich, die sich auf diese Weise auch in dieses Projekt tatkräftig einbrachte.

Im September 2019 wurde nach etwas mehr als einem Jahr Bauzeit das Leopoldinum als VS SmartCity am neuen Standort feierlich eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt gab es schon seit 2018 Kooperationen in Form von NaturWorkshops zwischen der Natur.Werk.Stadt und dem benachbarten Kindergarten.

Lebendiges Wissen und die Überwindung von Sprachbarrieren

Die VS SmartCity ist nicht nur außen modern gestaltet, sondern praktiziert auch ein neues Konzept der Anordnung schulischer Räume. Derzeit gibt es 3 Cluster (A, B, C), wobei in einem Cluster jeweils die Klassen der Jahrgänge 1 bis 4 zusammengefasst werden; die Räume sind dergestalt angelegt, dass innerhalb jedes Clusters die einzelnen Klassenräume durch einen zentralen Raum verbunden sind, welcher als freie, große Lernlandschaft fungiert.

Jeder dieser Cluster grenzt im Außenbereich an eine begrünte Terrasse, wobei diese Flächen in verschiedenen Größen auf mehreren Stockwerken angelegt und in Summe rund 3.000m² groß sind. Einige kleinere Bereiche sind aus Sicherheitsgründen nicht für Schüler*innen zugänglich, der weitaus größte Teil dieser Terrassen bietet mit Hochbeeten und anderer Begrünung jedoch reichlich Möglichkeiten, Natur hautnah im gelebten Alltag kennenzulernen.

Über den räumlichen Aspekt hinaus entspricht auch das pädagogische Konzept der VS SmartCity mit seinem klaren Bekenntnis zu reformpädagogischen Ansätzen im Sinne von fächerübergreifendem Unterricht, freiem Spiel sowie auf die Kinder ausgerichteten Lernmöglichkeiten der Modernität dieses neuen Stadtteils. Viel Offenheit für neue Lernmethoden und hohe Kompetenz bei der Integrationsarbeit sind ebenfalls vorhanden.

Frau Dr.in Nicole Walzl-Seidl, seit 2 Jahren Obfrau des Elternvereins der VS SmartCity, ist von diesem schulischen Konzept überzeugt: „Die Frage, was die Schule tut, damit die Kinder die Lust am Lernen nicht verlieren, musste hier nie gestellt werden! Motivation und Begeisterung sind lebendig; darüber hinaus werden immer wieder neue Methoden erprobt.“

Im Schuljahr 2019/2020 wurde ein Mal pro Woche für 90 Schüler*innen des A-Clusters ein sogenannter „Naturtag“ veranstaltet, der jeweils aus mehreren Einheiten bestand. Den Anfang machten altersgerechte und auf die jeweilige Klasse abgestimmte Bücher, die vorgelesen wurden und so die Basis für den weiteren Verlauf des Tages bildeten.

Nach einer anschließenden Buchbesprechung folgten verschiedenste Aktivitäten; beim Spielen, Basteln, Malen, beim Sammeln und der Bearbeitung von Naturmaterialien, beim Anlegen von Beeten sowie bei der Pflege und Ernte von Gemüse und Kräutern wurde der Unterricht zum unmittelbaren Lernen fürs Leben. Saisongerechtes Kochen und Backen durften ebenfalls nicht fehlen.

Mag.a Daniela Zeschko, Projektleiterin der Natur.Werk.Stadt: „Kindern die Möglichkeit zu geben, mitzugestalten, sie ernst zu nehmen und ihnen einen ganzheitlichen Zugang zu Wissen, zur Natur und zu unserer Umwelt zu geben, ist nicht nur ein Ziel, das mich und mein Tun seit langem antreibt. Es ist ein Geschenk, mit Kindern und Erwachsenen gemeinsam wachsen, lernen und Neues erleben zu dürfen.“

Migration leicht gemacht

Die VS SmartCity ist eine interkulturelle Schule mit sehr hohem Anteil an Kindern mit Migrationsgeschichte; In der Natur.Werk.Stadt ist die Zusammensetzung der Teams multikulturell, dadurch war es möglich, mit vielen der Schüler*innen in ihrer jeweiligen Muttersprache zu kommunizieren. Auf dieser Ebene entstand eine Atmosphäre, in der sich alle Kinder als gleichberechtigt wertvolle Menschen wahrnehmen und angenommen fühlen konnten. Sprachbarrieren wurden durch sensorische Wahrnehmung ebenfalls überwunden; speziell im Bereich der Natur spielt die Haptik dabei eine große Rolle. Die Naturtage fanden teils auch außerhalb des Schulgebäudes statt, wo in unmittelbarer Nachbarschaft das green.LAB mit seinem Garten faszinierende Möglichkeiten bot, Natur mit allen Sinnen zu erfassen; So zum Beispiel bei der Erfahrung der verschiedenen Aggregatzustände von Wasser. Mag.a Daniela Zeschko: „Diese Art des Lernens eignet sich überdies hervorragend, um motorische Defizite bei Kindern auszugleichen.“

Zum Leidwesen aller Beteiligten beendete der Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 die Naturtage leider vorzeitig. Nichtsdestoweniger ist vorgesehen, diese konstruktive Art des Lehrens und Lernens wieder aufzunehmen.

 

Die Zukunft: Ein wanderndes Gebäude und der Faktor Zeit

Im Zuge des weiteren Ausbaus der Smart City wird das green.LAB – in diesem Fall wortwörtlich als modulares Gebäude zu verstehen – 2022 in einen anderen Stadtteil versetzt werden, um auch dort wieder seiner experimentellen Funktion im Sinne einer innovativen Nutzung von Brachland zu dienen, denn dort, wo jetzt noch die Gebäudeeinheit steht, wird die Neue Mittelschule gebaut werden. Die Präsenz des StadtLABOR in der Anfangsphase vor Ort mit der Möglichkeit, kompetente Ansprechpartner*innen zu finden, hat sich als richtungsweisend herausgestellt, da sie einen niederschwelligen und direkten Zugang bietet, wenn es um Anregungen, Wünsche oder Beschwerden der Bewohnerschaft geht. Zugleich signalisiert eine solche Präsenz die Bereitschaft, sich Problemen unmittelbar zu stellen und eine Vermittlerrolle einzunehmen, die Vertrauen schafft. Im Rückblick findet DI Franziska Schruth vom Stadt.LABOR einen bestimmten Punkt besonders bemerkenswert: „StadtLABOR, Natur.Werk.Stadt und greenLAB wurden von den meisten Menschen hier nicht als getrennte Projekte gesehen, sondern – bedingt durch die nach und nach gewachsenen Synergien – als Einheit betrachtet.“

Während dieser interdisziplinären Kooperation kristallisierte sich deutlich heraus, welcher Aspekt für alle an den Projekten beteiligten Menschen große Bedeutung hat: Es ist der Faktor Zeit. Projekte wie die Volksschule SmartCity, das green.LAB, die Natur.Werk.Stadt und deren Umfeld sind vergleichbar mit der Anlage eines naturnahen Gartens, in welchem die Strukturen sich ohne Zeitdruck entwickeln können und wachsen dürfen, sodass immer wieder Neues entstehen kann. Umgekehrt bewirkt Zeitdruck auf Dauer einen Tunnelblick und lässt Scheuklappen wachsen, die den kreativen und sorgsamen Rundumblick verhindern. Auch die gesellschaftliche Bewusstseinsbildung und das Umdenken brauchen ihre Zeit, und das sowohl auf breiter Ebene als auch bei Entscheidungsträger*innen.

Erfreulicherweise durften in der Smart City die Projekte wachsen, sich verändern und weiter gedeihen, sodass mit den Jahren im Zuge der Stadtentwicklung aus kleinen Anfängen ein großer Baum mit vielen Verästelungen in Form von Erfahrungen aus verschiedensten Projekten und Initiativen geworden ist. Auf Basis dieser Erfahrungen wird es möglich sein, auch in Zukunft neuen Herausforderungen umsichtig zu begegnen und Probleme auf für alle Beteiligten konstruktive Weise zu lösen.

Autorin: Maria Hofbauer