#5 2019 – Aus alt mach Neu

Früher war das Reanimieren, Neudefinieren und Neubeleben ausgedienter Gebäude nur etwas für besonders ökologisch und alternativ denkende Menschen. Inzwischen spielt die Thematik aber bei der Stadt- und Quartiersentwicklung eine wichtige Rolle.

Hier sollen in ein paar Monaten Frauen und Männer vor ihren Computern sitzen, sich in der Kaffeeküche austauschen und an kreativen Projekten feilen? Bei einem Blick in die Räumlichkeiten des alten Telekomgebäudes in Kremsmünster scheint diese Zukunftsvision weit hergeholt, geradezu unrealistisch. Kabel hängen aus der Wand, verstaubte Vorhänge lassen kaum Licht durch, der PVC-Boden ist spröde geworden, an vielen Stellen aufgerissen. Thomas Schorn ist trotzdem überzeugt: „Wenn das Projekt erst einmal richtig Fahrt aufnimmt, dann kann dashier eine spannende Sache werden.

Eine Idee Form annehmen lassen

Mit „das“ meint der umtriebige Kreativkopf einen geplanten Coworking Space, der im Rahmen des Smart Cities-Projekts „SCHALTwerk Kremsmünster 2030“ in den verwaisten Räumlichkeiten der rund 6.500 EinwohnerInnen zählenden oberösterreichischen Marktgemeinde entstehen soll und als dessen Kurator Schorn fungiert. „Überlegungen, was wir mit dem zwischen 1968 und 1970 errichteten Gebäude machen könnten, gab es schon vor vielen Jahren“, sagt Kremsmünsters Bürgermeister Gerhard Obernberger. Letztlich fehlte es aber immer an Fantasie und Espritum diese auch konkret in Umsetzung zu bringen. Mit dem Coworking Space soll das nun anders sein. Der Plan ist aus zweierlei Gründen zukunftsweisend: Einerseits entstehen damit in Zentrumsnähe flexible Arbeitsplätze und eine wirtschaftliche Grundlage für junge Selbstständige, die ansonsten in größere Städte abzuwandern drohen; nach Linz, Wels, Salzburg, Graz oder Wien.
Andererseits wird damit aber auch – frei nach dem Motto „besser Altes nutzen, als Neues bauen“ – ein seit mindestens zehn Jahren leerstehenden Gebäude ressourcenschonend einer neuen Nutzung zugeführt.

Alte Gebäude neu nutzen

Zugegeben, das Reanimieren alter Gebäude ist nicht wirklich neu. Schon vor hunderten von Jahren fanden nicht mehr benötigte Räumlichkeiten neuwertige Nutzungen. Wurde das Lager zum Stall, der Stall zur Schmiede, die Schmiede zum Wohnhaus, das Wohnhaus zum Gasthof.
Was damals aber eher notgedrungen passierte, wird mit dem steigenden Bedarf an innerstädtischem Wohn- und Kreativraum und dem Wunsch nach außergewöhnlichen Wohnorten nun seit einigen Jahren zunehmend institutionalisiert.
Das Neudefinieren von Gebäudesubstanz, früher eher ein Terrain für HausbesetzerInnen und ÖkospinnerInnen, nahm aber nicht nur Fahrt auf, weil Immobilienentwickler den ursprünglichen Charakter der Gebäude gut vermarkten können. Dabei handelt es sich schließlich in vielen Fällen um überregional bestens bekannte „Landmarks“, Identifikationspunkte und Industriedenkmäler mit Geschichte, die, anders als Neubauten, nicht erst intensiv beworben und bekannt gemacht werden müssen. Sondern auch, weil das in vielen Fällen ökologisch sinnvoll sein kann. Es sind schließlich bereits Grundstruktur und Bausubstanz vorhanden, auf die aufgebaut werden kann, und die nicht mehr aufwendig errichtet werden müssen.
Dazu kommt: Das Reanimieren alter Gebäude spart auch aus Sicht der Kommunen Zeit, Kosten und Ressourcen. Kanalanschlüsse und Zufahrtsstraßen sind bereits gebaut, eine Anbindung an den öffentlichen Verkehr ist gegeben. Alte Gebäude werden damit zu wertvollen Flächenressourcen für die Stadt, die einen neuen, interessanten und zugleich nachhaltigen Spielraum für die Stadtentwicklung bieten, wie Amtsleiter Reinhard Haider aus Kremsmünster erklärt: „Wann und wo hat man sonst die Chance, direkt in der Innenstadt oder in unmittelbarer Nähe neue Projekte umzusetzen und diese damit zu attraktivieren?“ Wichtig sei es allerdings, nicht willkürlich neue Nutzungen umzusetzen, sondern mit einem klaren Konzept strategisch an die Thematik heranzugehen: „Wir haben mit dem alten Gerichtsgebäude noch ein zweites größeres leerstehendes Gebäude und mit dem Fußballplatz auch ein Grundstück in Zentrumsnähe, die wir in den kommenden Jahren neu bespielen wollen.“ Wie und womit, das soll in einem Ortsentwicklungskonzept überlegt werden, das gerade in Ausarbeitung ist.

Möglich ist, was denkbar ist

Die Rede ist bei derartigen Neunutzungen von sogenannten „Transformationsimmobilien“, die ihre ursprüngliche Funktion verlieren und oft mit viel Phantasie in eine neue überführt werden. Dabei sind den Möglichkeiten kaum Grenzen gesetzt, wie die ebenfalls in „SCHALTwerk Kremsmünster 2030“ engagierte Projektentwicklerin Michaela Zois von der Sandbichler Architekten Gmbh in Wien bestätigt: „Wenn die Bausubstanz passt, steht einer Weiternutzung grundsätzlich nichts im Wege. Das Baurecht und der Denkmalschutz können zwar einschränkend wirken, und es muss im Einzelfall auch geklärt werden, ob eine Neunutzung wirtschaftlich tatsächlich sinnvoll ist, aber ansonsten gilt: Alles ist möglich.“

Alt und Neu ungewöhnlich kombinieren

Das Spektrum reicht dabei von der behutsamen Instandsetzung bis zur radikalen Transformation. Aus Fabriken werden Wohnparks und Büros, aus Brauereien Kulturzentren, aus Lagerhallen Lofts, alte Bürotürme für Vertical Farming genutzt. Auch Bahnwärterhäuschen, ausgediente Werkstätten, Mühlen, ehemalige Druckereien und Schulen finden neue Nutzungen, sogar Gotteshäuser wie der gelungene Umbau der Herz-Jesu-Kirche zu Wohnungen im deutschen Mönchengladbach beweist. Der alte Osthafen in Berlin wurde zu einem Mode- und Medienzentrum, der 2010 geschlossene Flughafen Tempelhof findet als Kreativquartier, Park und Freizeitareal eine alternative Nutzung. Auch anderswo kombinieren Alt und Neu durchaus ungewöhnlich: In der slowenischen Hauptstadt Laibach wurde beispielsweise ein ehemaliges Militärgefängnis zu einem Hostel mit dem Namen Celica Art (deutsch „Zelle Kunst“), und in den Räumlichkeiten der einstigen Tabakfabrik in Linz haben sich Kulturvereine, Werbe- und Digitalagenturen, ArchitektInnen, DesignerInnen und Handwerksbetriebe breit gemacht. Die Gebäude und das Gelände des alten AKH in Wien wurden schon in den 1990er-Jahren in einen Universitätscampus verwandelt, die ehemalige Ankerbrotfabrik im 10. Wiener Gemeindebezirk sattelte auf Ateliers, Galerien und Schauräume um.
Ebenso das jahrelang brach liegende Industriegebiet „In der Wirke“ in Hard in Vorarlberg – mit dem sich das vom Klima- und Energiefonds geförderte Projekt „Smart City Rheintal“ befasste – wird heute mit Wohnungen, Büro- und Geschäftsflächen, einem Veranstaltungszentrum und einem Haus der Generationen in Niedrigstenergiequalität genutzt. In Amstetten soll die ehemalige Remise im Rahmen des Smart Cities-Projekts „Amstetten Smart City Life 2030“ zu einem Innovations- und Entwicklungsmotor für ein Stadtentwicklungsgebiet in Bahnhofsnähe werden. Und wenige Kilometer weiter fand in Waidhofen an der Ybbs in den leerstehenden Räumlichkeiten eines Möbelherstellers ein Coworking Space Platz.

Der Arbeitsplatz als soziale Heimat

„Das Entwickeln neuartiger Formen des Arbeitens wie Coworking Spaces ist bei der Neunutzung bestehender Immobilien gerade ein sehr großes Thema“, sagt „SCHALTwerk Kremsmünster 2030“-Projektleiterin Doris Wilhelmer vom Center for Innovation Systems & Policy des Austrian Institute of Technology (AIT). Warum, ist leicht erklärt: „Im Zeitalter der Digitalisierung finden sich immer mehr junge Menschen in den Rollen ,neuer Selbständiger‘ wieder“, erklärt Doris Wilhelmer. „Sie arbeiten auf minder ausgestatteten Arbeitsplätzen von zu Hause aus, was allerdings oft zur Vereinsamung führt. Durch die Realisierung neuartiger Formen des Arbeitens in agilen, modernen Organisationsstrukturen wie im ,SCHALTwerk‘-Projekt bieten wir genau dieser Zielgruppe eine soziale Heimat und wirken dem Trend zur ökonomischen Destabilisierung und Vereinsamung unmittelbar entgegen.“

Flexibilität sollte oberstes Gebot sein

Können Architekten bereits beim Bau eines Gebäudes eine mögliche Nachnutzung mitbedenken? „Das ist schwierig“, sagt Michaela Zois, „weil sich nicht vorhersagen lässt, wohin sich ein Stadtteil und die Gesellschaft entwickeln und welche Nutzungen in einigen Jahrzehnten möglicherweise zum Thema werden.“ An die Realisierung von Coworking-Spaces wie in Waidhofen oder aktuell in Kremsmünster hätte vor 15 und auch noch vor zehn Jahren beispielsweise kaum jemand einen Gedanken verschwendet. Wohnungen in eine nicht mehr benötigte Kirche zu bauen wie in Mönchengladbach ist für viele Menschen noch heute undenkbar. „Um sich für die Zukunft zumindest alle Möglichkeiten offen zu lassen, ist es in der Planung wichtig, bei der Raumaufteilung und Gestaltung flexibel zu bleiben“, sagt Michaela Zois. Ob unter dem Strich ein Neubau oder die Neubelebung bestehender Strukturen ökologisch sinnvoller ist, lässt sich nur im Einzelfall entscheiden. „Das hängt vor allem von der Bausubstanz ab.“

Alternative Zwischennutzung

Bis neue Ideen für ein ausgedientes Gebäude und Investor-Gruppen, die aufs Ganze gehen, gefunden sind, gibt es die Möglichkeit zur Zwischennutzung, wie das etwa bei der Nordbahnhalle, der Floridsdorfer Traktorfabrik oder dem Creau im Prater in Wien der Fall war. Dieser Raum auf Zeit ist ideal für Kulturschaffende auf der Suche nach Ateliers, Start-ups, die günstige Büros benötigen, und soziale Initiativen, die dort ihre Projektideen verwirklichen können. Die NutzerInnen zahlen im Regelfall keine oder nur eine sehr geringe Miete, und der Eigentümer muss im Gegenzug keinerlei Modernisierungen vornehmen, nur sicherstellen, dass Anschlüsse wie Wasser und Heizung funktionieren.
Zwischennutzung trifft auf durchaus rege Nachfrage. In den vergangenen Jahren haben sich auch hierzulande einige Agenturen ganz auf die Vermittlung verfügbarer Räume und Leerstandsmanagement konzentriert. Zahlreiche Immobilien konnten damit wieder einer langfristigen Nutzung zugeführt, vorhandene Strukturen zumindest auf Zeit wiederbelebt werden. Auf besonders spannende Weise gelingt das einmal jährlich auch für jeweils mehrere Wochen in Attersee. Beim Sommerfestival „Perspektiven Attersee“ beleben junge Artists in Residence, Pop-up Shops und künstlerische Beiträge das Zentrum der Gemeinde, Leerstände werden zu Kunst- und Designateliers. In einer bereits Mitte der 1990er-Jahre umgebauten ehemaligen Fertigungshalle für Betonwaren werden Ausstellungen gezeigt.

Zentren ohne Zukunft

Nur bei Einkaufszentren und Fachmarktzenten, wie sie in den vergangenen Jahren in ganz Österreich dutzendfach außerhalb von meist kleineren und mittelgroßen Städten auf der grünen Wiese errichtet wurden und die nun immer öfter leer stehen, ist ein zweiter Frühling in Form einer Neunutzung ausgeschlossen, wie Projektentwicklerin Michaela Zois erklärt: „Diese Immobilien sind von Bausubstanz und Statik auf eine Dauer von maximal 15 Jahren ausgelegt und machen damit praktisch alle Arten von Aus-, Umbauten und Neunutzungen unwirtschaftlich.“ Die von der öffentlichen Hand errichteten Infrastrukturmaßnahmen wie Zu- und Abfahrtstraßen, Zuschüsse und Förderungen verpuffen damit oft schon nach wenigen Jahren. Was bleibt? Immobilienruinen und große versiegelte Gebäude- und Parkplatzflächen, wie sie in Zeiten von Klimanotstand und fortschreitendem Klimawandel eigentlich der Vergangenheit angehören sollten.