#2 2019 – Hotels mit Vorbildfunktion
Begrünte Fassaden, Solarenergie, der Verzicht auf Minibars und voller Fokus auf Fahrräder: Immer mehr Hotels geben sich umweltbewusst und zeigen Gästen damit, wie sie ihr Leben nachhaltiger gestalten können.
Waren Sie schon einmal in einem nachhaltig ausgerichteten Hotel mit Null-Energie-Bilanz? In einer Unterkunft, die ganz auf Parkplätze verzichtet und ihren Gästen stattdessen kostenlose Räder anbietet? Oder einem Quartier mit klarer Fokussierung auf Regionalität und Zero Waste? Nein? Dann wird es höchste Zeit. Was vor mehr als einem Jahrzehnt mit einigen wenigen Vorzeigeprojekten begann, ist heute weit verbreitet. Hotels, die das Wohlergehen von Umwelt, Mitarbeitern und Gästen gleichermaßen im Blickfeld haben, gibt es mittlerweile in ganz Europa. Und egal, ob Sie im „Ecoinn“ in der Esslinger Innenstadt mit seinem Wasserrad und seiner eigenen Turbine nächtigen, im energieeffizienten „Ecorkhotel“ mit seinem mit Kork beschichteten Hauptgebäude in Évora in Portugal oder im „Best Western Premier Hotel Victoria“ im Herzen von Freiburg – alle diese Häuser werden auf Sie nachhaltig Eindruck hinterlassen.
Hotel mit Null-Energie-Bilanz
Aber alles der Reihe nach, beginnen wir unsere Reise in der Hackengasse 20 im 15. Wiener Gemeindebezirk. Dort übernahm Michaela Reitterer im Jahr 2002 von ihren Eltern das Hotel „Zur Stadthalle“ und wandelte es Schritt für Schritt zum „Boutiquehotel Stadthalle Wien“ um, dem weltweit ersten Stadthotel mit Null-Energie-Bilanz. Hauptverantwortlich dafür: Ein Zubau im Passivhausstandard, der 2009 eröffnet wurde. „Mein vordergründiges Ziel war es damals die Energiekosten möglichst weit zu senken“, blickt die Unternehmerin im Gespräch mit dem Klima- und Energiefonds zurück. „Vermutlich war es gut, dass ich nicht im Detail wusste, wie schwierig die Umsetzung dieses Projekts mitten in der Stadt wird, da ich den Zubau ansonsten höchstwahrscheinlich nicht oder in anderer Form realisiert hätte.“
Zahlreiche Maßnahmen umgesetzt
Hat sie aber nicht, und so ist das Thema Nachhaltigkeit für das „Boutiquehotel Stadthalle“ heute das, was die Kuh für die Straßen von Kalkutta ist oder ein grüner und kurz geschnittener Rasen für den Fußballsport: Omnipräsent und nicht mehr wegzudenken. Der benötigte Strom wird durch eine 93 Quadratmeter große Photovoltaikanlage erzeugt, eine 130 Quadratmeter große thermische Solaranlage erzeugt die Energie um Wasser in der Sekunde zu erwärmen. Für die Toilettenspülung wird Brauchwasser verwendet, der Vertikalgarten an der Fassade des Hotels wirkt sich positiv auf Raumklima und Schalldämmung aus, der hauseigene Brunnen liefert Kühlenergie und durch den Verzicht von Minibars werden jährlich 21 Tonnen CO2 eingespart. Und als wäre all das noch nicht genug, bestehen Vorhänge, Polstermöbel und Bettbezüge aus recycelten Stoffen, helfen LED-Lampen beim Energie sparen und wird in der Küche ganz auf Regionalität und Bio gesetzt.
Interesse weiterhin hoch
Michaela Reitterer lächelt. Es ist ein sonniger Montagnachmittag im April und die Besitzerin des Wiener Vorzeigebetriebs und Präsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV) sitzt auf einem Hocker im Empfangsbereich des Hotels. Sie ist sichtlich stolz auf ihr Haus, kann es aber auch zehn Jahre nach Fertigstellung des Umbaus noch nicht ganz glauben, dass die Ausrichtung ihres Hotels eine derart nachhaltige Wirkung hat. „Ich bin nach der Eröffnung fest davon ausgegangen, dass das Interesse bald abflauen und sich niemand mehr für eine Führung interessieren wird.“
Und?
„Ich habe mich getäuscht. (lacht) Wir haben damals den Anfang einer Entwicklung gesetzt, die wir seitdem konsequent weiter vorangetrieben haben und das begeistert unsere Gäste heute mehr denn je.“
Ihr ohnehin schon nachhaltiges Hotel wurde mit den Jahren also noch nachhaltiger?
„Ja, und damit habe ich eine unheimliche Freude. Es macht mir großen Spaß beispielsweise Upcycling-Zimmer zu realisieren oder dass wir uns, so wie aktuell, federführend bei der Erarbeitung eines Zero Waste-Leitfadens engagieren, der österreichischen Hoteliers dabei helfen soll, ihren Müll zu reduzieren. Ein großes Thema bei uns ist aktuell auch Food Waste, in Zukunft wollen wir verstärkt auch zu den SDGs etwas machen.“
Die auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2015 erarbeitete „Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung“ umfasst insgesamt 17 sogenannte Sustainable Development Goals (kurz SDGs), also Entwicklungsziele.
„Unseren aktuellen CSR-Report haben wir in einem ersten Schritt bereits nach den SDGs geschrieben. Ab Herbst werden wir nun in einem zweiten Schritt 17 Zimmer umbauen und jedes Zimmer einem dieser Entwicklungsziele widmen. Damit wollen wir verstärkt Bewusstseinsbildung für die weitgehend unbekannte ,Agenda 2030’ betreiben und auf die enorme gesellschaftliche Herausforderung, die damit verbunden ist, aufmerksam machen.“
Können Hotels mit solchen Maßnahmen Gäste zu einem nachhaltigeren und bewussteren Leben animieren?
„Definitiv. Wir hatten gerade in der Anfangszeit viele Probeschläfer, die spüren wollten, wie es sich in einem Passivhaus schläft – auch, weil sie vielleicht selbst geplant haben, ein Passivhaus zu bauen. Über unsere Upcycling-Zimmer machen wir Gäste auf das Potenzial vermeintlicher Abfallstoffe aufmerksam, und mit grünen Punkten in den Zimmern erklären wir ganz nebenbei, welche Energiesparpotenziale auch in den kleinen Dingen des Alltags liegen. Dass Reduktoren in den Wasserhähnen den Wasserverbrauch beispielsweise um bis zu 30 Prozent reduzieren können oder welche Ressourcen sich sparen lassen, wenn man das Duschtuch mehr als einmal verwendet.“
Grünes Reisen boomt
Das „Boutiquehotel Stadthalle“ – da ist sich Michaela Reitterer sicher – hat mit seiner nachhaltigen Ausrichtung einen Nerv der Zeit getroffen. Zwar ist nicht überall grün drinnen, wo umweltfreundlich drauf steht und Nachhaltigkeit in vielen Fällen nur ein beliebtes Modewort, „grünes Reisen“ ist in den vergangenen Jahren aber weltweit zum Thema geworden. Reiseveranstalter bieten heute etwa die Möglichkeit zum freiwilligen CO2-Ausgleich einer Flugreise, ganze Urlaubsorte haben das Auto aus ihren Zentren verbannt und mit ecobnb und Co gibt es längst auch grüne Alternativen zu Unterkunfts-Plattformen. Webseiten wie www.greenpearls.com oder www.sleepgreenhotels.com bilden das wachsende Angebot an nachhaltigen Hotels, aber auch Restaurants sowie Destinationen ab, Öko-Diskos werben ebenso um umweltbewusste TouristInnen wie Yachtbetreiber, Tauchschulen und Hotels mit eigenen Wildschutzzonen und Biosphären-Reservaten.
Stadthotels mit klarer Botschaft
Immer öfter positionieren sich in Städten auch Hotels nachhaltig: das „Almodóvar Hotel“ im Berliner Szenebezirk Friedrichshain etwa, das Null-Emissions-Hotel Milano Scala in Mailand, das Hôtel le Pavillon in Paris oder das Cykelhuset Ohboy in Malmö. Das 2017 eröffnete Haus in der südschwedischen Küstenstadt wird mit Erdwärme beheizt, Solarzellen liefern Strom, und bei der Hoteleinrichtung wurde auf Nachhaltigkeit geachtet. Besonders macht das Ohboy aber seine Ausrichtung ganz auf die Bedürfnisse von RadfahrerInnen. Und diese schließt neben einer guten Infrastruktur – Ladestationen für Elektro-Fahrräder, Tankstelle mit Luftpumpe und Radwaschmöglichkeit, Fahrrad-Werkstatt – auch ein Leihfahrrad für die Dauer des Aufenthalts ein. Für Architekt Cord Siegel ist sein Haus damit eine „Hommage an Motels, die ganz auf die Bedürfnisse von Autofahrer zugeschnitten sind. Wir hingegen setzen auf einen modernen urbanen Lebensstil. Dabei kommen uns die mehr als 500 Kilometer Fahrradwege in der Stadt sehr entgegen – der Weg mit dem Rad zum Bahnhof, zum Meer oder in die Innenstadt ist aufgrund der geringen Entfernung ein einfacher. Unsere Gäste brauchen kein Auto.“
Nachhaltig ist nicht unbedingt teuer
Aber rechnet sich die nachhaltige Ausrichtung für einen Hotelier? Zahlt es sich für die Betriebe wirtschaftlich aus, in smarte Ideen und in die Umwelt zu investieren? „Ja“, sagt Michaela Reitterer, „nachhaltig ist nicht unbedingt teurer. Natürlich kostet der Bau mehr als bei einem herkömmlichen Haus, und natürlich ist der Wareneinsatz für ein Biofrühstück um einiges höher. Durch unsere Ausrichtung haben wir aber auch eine spannende Geschichte zu erzählen, die uns von den meisten anderen Hotels abhebt und die uns bei der Vermarktung hilft. Wir haben auch sehr viele Stammgäste und viele Gäste, die in ihrem Urlaub nicht auf ihre nachhaltige Lebensweise verzichten wollen, die sie von zuhause gewohnt sind.“ Bezahlt schlussendlich also der Gast den Preis? Muss er für sein gutes Gewissen und Energiesparprogramme mehr bezahlen? Michaela Reitterer verneint: „Wir sind ein Drei-Sterne-Haus mit Vier-Sterne-Standard, und es wird in Wien Häuser geben, die ähnliche Qualität günstiger anbieten und andere, bei denen ähnliche Qualität teurer ist. Wir bewegen uns da sicher im guten Durchschnitt und dürfen uns über eine gute Auslastung freuen.“ Green sells eben, wie auch eine Aufschrift im Empfangsbereich des Hotels beweist: „Null-Energie-Bilanz klingt zwar nicht sexy. Trotzdem haben wir jede Nacht wen anderen im Bett liegen.“