#12 Dezember 2018 – Die interaktive Stadt
Ist die Stadt als gebautes Netzwerk eine riesige Interaktionsmaschine mit Schnittstellen des Begegnens wie Plätzen, Kreuzungen und Parks, gilt dies umso mehr für die digitale Stadt, die sich im letzten Jahrzehnt Stück für Stück über die physische Stadt gelegt hat.
Die digitale Stadt initiiert neue Verbindungen und damit Möglichkeiten, in Kontakt zu treten – mit NachbarInnen, FreundInnen, Gleichgesinnten oder mit der lokalen Verwaltung. Im besten Fall verkommt digitale Interaktion dabei nicht zum „Salzamt“ (Max Brustbauer), wo sich User über Beschwerden und Sternebewertungen an einem anonymen Gegenüber abarbeiten, sondern ermöglicht horizontale Vernetzung und Selbstorganisation. Wie können also digitale Technologien wie soziale Medien, Kommunikationstechnologien oder Cloud-basierte Webanwendungen BürgerInnen dabei unterstützen, sich unkompliziert miteinander zu vernetzen und Vorhaben zu koordinieren?
Kein Passierschein A38 notwendig
Einen Versuch, Interaktion mit der Verwaltung über digitale Kommunikationstechnologien zu vereinfachen, stellt die App Sag’s Wien dar, über welche BürgerInnen seit Februar 2017 Störungen, Schäden und Gebrechen direkt an die Stadt melden können. Verunreinigungen, Schlaglöcher, ausgefallene Ampelanlagen oder Beleuchtungen können mit Foto und kurzer Beschreibung per Smartphone festgehalten und an die zuständigen Dienststellen weitergegeben werden. Dass ein eigener Account für eine Meldung nicht notwendig ist, mag mit ein Grund für die hohe Zahl an beinahe 35.000 Meldungen sein, die seit dem Start der Anwendung eingegangen sind. „Menschen wollen einfach unbürokratisch und direkt mit ihrer Stadtverwaltung in Kontakt treten“, meint dazu Walter Hillerer, Leiter der Gruppe Sofortmaßnahmen und Stadtservice Wien. Überraschend ist angesichts der Anonymität der MelderInnen, dass bisher nur 100 Meldungen wegen Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen und Netiquette gelöscht werden mussten.
Crowdfunding im städtischen Terrain
Geht es bei Sag’s Wien um die Kommunikation mit einer anonymen Verwaltung, will Raumpioniere BürgerInnen mit BürgerInnen zusammenbringen.
„Soziale Medien und Kommunikationstechnologien sind für Urban Crowdfunding-Kampagnen essentielle Instrumente“, erklären Lisa ReimitzWachberger und Jan Gartner, GeschäftsführerInnen von Raumpioniere. Die Crowdfunding- Plattform konzentriert sich auf die Finanzierung von urbanen Projekten. Diese seien „…meist mit unterschiedlich vielen Interessen und Meinungen beladen, die es im Vorfeld, während des Prozesses und sicherlich auch danach immer wieder auszuverhandeln gilt“, wissen Reimitz-Wachberger und Gartner. Der interaktive Aspekt des städtischen Zusammenlebens und der Nutzen sozialer Medien zeigen sich bei urbanen Projekten besonders – sei es im Kontakt mit Zielgruppen wie der NachbarInnenschaft, Politik, Verwaltung, städtischen Initiativen oder BewohnerInnen, beim Bekanntmachen der Kampagne. Viel Interaktion passiert sogar schon vor der tatsächlichen Finanzierungsphase, wenn nämlich Kommunikationstechnologien eingesetzt werden, um Aufmerksamkeit zu erregen, Lust auf die Idee zu machen, das Projektteam vorzustellen und den Mehrwert herauszuarbeiten. Der physische Raum müsse dennoch immer mitgedacht werden, betonen Lisa Reimitz-Wachberger und Jan Gartner, sind die Projekte doch lokal gebunden. Digitale und analoge Beteiligungstechniken ergänzen sich also und bekommen je nach Projekt einen anderen Schwerpunkt.
Interaktives Planen und Wohnen
Sollen sich Interessierte via Raumpioniere finden und vernetzen, haben sie sich im Falle von realitylab bereits gefunden. Das Unternehmen hat sich der Gestaltung von sozialen Prozessen mittels neuer Medienformate verschrieben, ein Schwerpunkt ist die Begleitung von Baugruppenprojekten. „Vieles, was wir jetzt machen, ist eigentlich erst dadurch möglich geworden, dass sich Leute nicht in personam treffen müssen, sondern dass sie sich über diverse Medien austauschen können“, betont Gernot Tscherteu, Geschäftsführer von realitylab.
Das Unternehmen hat dafür verschiedene digitale Tools entwickelt, wie etwa das digitale Schwarze Brett, über das BewohnerInnen Schadensmeldungen und andere Mitteilungen an die Hausverwaltung melden, Feste ankündigen, Kleinanzeigen und Nachbarschaftsdienste schalten oder Waschmaschinen und Gemeinschaftsräume reservieren können. Aber auch Chat-Gruppen im Messenger Telegram kommen laufend zum Einsatz und dienen als „…kleine Gegensprechanalage, die immer in Betrieb ist“, formuliert Tscherteu pointiert. Fünf bis zehn Meldungen pro Tag gebe es in der Baugruppe, in der Tscherteu selbst wohnt. Für die Planungsphase in Baugruppen relativiert er: „Alle Medien sind so zu denken, dass sie das reale Treffen unterstützen, nicht ersetzen.“
Vernetzung als Selbstorganisierung
Das komplementäre Verhältnis von digitaler Vernetzung und realem Stadtraum zeigt sich nicht zuletzt im politischen Aktivismus. Kennen wir die Nutzung sozialer Medien aus den Berichten von AktivistInnen aus dem Arabischen Frühling, kommuniziert das Organisationsteam der aktuellen Donnerstags-Demos bevorzugt über den Facebook-Messenger und trifft sich als politische Öffentlichkeit wöchentlich im physischen Stadtraum. Auch bei der Ankunft geflüchteter Menschen an den Wiener Bahnhöfen im Jahr 2015 dienten digitale Kommunikationstechnologien zur Organisierung von Hilfe und Versorgung, auch wenn hier die spontane Vernetzung vor Ort im Vordergrund stand, wie Simone Wirth schildert, die am Westbahnhof Wien im Kids Corner über mehrere Monate täglich ankommende Menschen versorgte. Die HelferInnengruppe habe sich zunächst nicht groß vernetzt, „…die Leute sind einfach jeden Tag wiedergekommen.“
Haben soziale Medien und Kommunikationstechnologien die Möglichkeiten zur Vernetzung und Selbstorganisierung stark erweitert, zeigen die angeführten Anwendungen und Initiativen, wie analoge und digitale Umwelten einander durchdringen. Beide Ebenen bleiben also erhalten: Physische wie virtuelle Stadt als Interaktionstechnologien des urbanen Handelns.