#10 Oktober 2018 – Smarte Bestandsentwicklung

Auf dem Weg zur nachhaltigen Stadt ist es notwendig, den Gebäudebestand zu modernisieren und die gebaute Stadt nachzuverdichten. Eine kompakte Stadt ist ressourceneffizient und bringt so viele ökonomische, ökologische und soziale Vorteile mit sich. Der größte Unterschied zur Entwicklung „auf der grünen Wiese“ ist der, dass hier bereits Menschen sind. Da diese am besten wissen, was ihr Ort kann und was er braucht, werden sie in die smarte Stadtentwicklung eingebunden.

Soll in der Terrassenhaussiedlung in Graz irgendetwas verändert werden, das über die Instandhaltung hinausgeht, ist stets ein Mehrheitsbeschluss unter den 850 WohnungseigentümerInnen erforderlich. Wie das möglich sein soll, fragte sich auch das Projektteam von SONTE. Darum setzte man sich als Ziel dieses Sondierungsprojektes, eine Entscheidungshilfe zu Modernisierungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Doch dies geschah nicht im Alleingang: „Wir haben einen partizipativen Prozess für Wohnbau-Bestand entwickelt, den es so noch nicht gab“, erzählt Andrea Jany vom Institut für Wohnbauforschung. Die Terrassenhaussiedlung wurde in den 70er Jahren – damals revolutionär – partizipativ entwickelt: „Daher auch unser Ansatz: Wenn, dann muss man da auch wieder partizipativ rein“, erklärt Jany die Herangehensweise an die Weiterentwicklung des sozialen Wohnbaus. In zwei Befragungsrunden wurden Wünsche und Ideen eingeholt sowie abgefragt, wer welche Wünsche unterstützt. Andrea Jany: „Daraus haben wir den Modernisierungsleitfaden entwickelt. Alles, was
darinsteht, hat im Rücklauf mehr als 50% Zustimmung erhalten.“

Smarte Partizipation

Auch im Sondierungsprojekt Smartes Wohnen für Generationen, das sich ebenfalls mit der Modernisierung sowie mit der Nachverdichtung einer Wohnanlage der 70er Jahre befasste, bat man die BewohnerInnenschaft um ihren Beitrag zur Entwicklung von Maßnahmen. Da sich bereits bei der ersten Informationsveranstaltung im Vorfeld des Smart City-Projektes Widerstand gegen die geplanten Veränderungen geregt hatte, stellte man sich die Frage: „Welches Potenzial kann aus dieser schwierigen Situation für die BewohnerInnen entstehen? Welche Möglichkeiten der Mitgestaltung bei der Verbesserung des Quartiers kann dieses Projekt bieten?“, erzählt die Soziologin Mara Verlic von der Caritas der Erzdiözese Wien. Man beschloss, in kleinteiligerer Weise weiterzuarbeiten, alle Haushalte zu befragen, sich mit Interessensgruppen in einen intensiven Austausch zu begeben. Denn, so Verlic, „… wir wollen Ängste und Widerstände ernstnehmen und die Bedürfnisse, die dahinter liegen, erkennen. Wir nehmen die Leute in ihrer Expertise für ihr Wohnumfeld auf Augenhöhe ernst.“ Der Erfolg gibt dem Team Recht: Man konnte beim Folgeprojekt WOGE Demo auf diesem smarten Vorgehen aufbauen: „Alle Maßnahmen, die wir für das Demonstrationsprojekt eingereicht haben, haben wir im Kontakt mit den BewohnerInnen entwickelt“, betont Verlic.

Vom Prototyp, der zur Institution wurde

Auch ein sogenanntes „Prototyping“ in der Terrassenhaussiedlung fruchtete. Jany: „Wir haben in einer Woche viele Ideen, die aus der BewohnerInnenschaft kamen, in kleinem Maßstab umgesetzt.“ So stellte man beispielsweise fest, dass ursprünglich ein Kaffeehaus in der Siedlung geplant gewesen war, jedoch nie verwirklicht worden ist. „Und der Wunsch nach diesem Kaffeehaus hält sich in der Siedlung seit 40 Jahren, das war im Fragebogen sehr präsent. Also haben wir das Kaffeehaus einfach mit dem vorgefundenen Mobiliar umgesetzt. Die Idee ist tatsächlich aufgenommen worden und wird dort jetzt jeden Freitag als Nachbarschaftscafé betrieben. Es ist sehr erfreulich, dass sich dieser kleine Umsetzungserfolg über das Projekt hinaus etabliert hat. Wir waren ja nur eine einjährige Sondierungsstudie“, zeigt sich Wohnbauforscherin Jany bescheiden.

Was bleibt, wenn die Forschung zu Ende ist?

Dem Team von SONTE war es ein Anliegen, dass die BewohnerInnen unmittelbar etwas von der durchgeführten Studie haben. Daher schlüsselten sie den Modernisierungsleitfaden auf die drei Umsetzungsebenen individuell/nachbarschaftlich/extern umsetzbar auf und gaben dabei praktische und einfache Handlungsempfehlungen. Andrea Jany: „Ich glaube, dass wir damit zumindest im Ansatz gezeigt haben, dass Forschung dem Einzelnen etwas Konkretes in die Hand geben kann. Es ist wichtig, dass man es nicht auf der ExpertInnen-Ebene belässt, sondern wirklich konkrete Handlungsempfehlungen formuliert.“ So können die BewohnerInnen in jedem Fall auf eigene Faust klimafreundliche Maßnahmen umsetzen.

Im Bestand sind die Menschen da

Bei Vorhaben im Bestand hat man es immer mit Menschen zu tun. Und diese verfügen über solide Erfahrung mit dem Ort und haben ihre ganz persönlichen Meinungen. Andrea Jany weiß: „Im Bestand sind die Menschen da. Wenn ich hier also Klima- und Energieziele wirklich umsetzen will, muss ich mit diesen Menschen in Kommunikation treten. Denn die Hemmnisse und Vorbehalte sind oft groß, die kann man nicht gleich ausräumen. Also muss ein Prozess in Gang gesetzt werden.“ Und auf diesen muss man sich einlassen. Denn man kann vorab nicht wissen, wie sich der Prozess entwickelt und welche Dynamik entsteht. Mit ins Gepäck müssen also ein langer Atem und eine gute Portion Offenheit für das, was kommen mag.

Augustinus von Hippo

„Städte bestehen nicht aus Straßen und Häusern, sondern aus Menschen und ihren Hoffnungen.“